Der BGH hat mit Urteil vom 12.05.2016 (Az.: VII ZR 171/15) eine für das WEG-Recht und Bauträgerrecht maßgebende Grundsatzentscheidung getroffen. Diese hat folgende Leitsätze:
- Ansprüche der Erwerber wegen Mängeln an neu errichteten Häusern oder Eigentumswohnungen richten sich bei nach dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geschlossenen Bauträgerverträgen weiterhin grundsätzlich nach Werkvertragsrecht, mag auch das Bauwerk bei Vertragsschluss bereits fertiggestellt sein.
- Ergeht in der ersten Eigentümerversammlung im Jahr 2002 ein Beschluss gemäß einer Bestimmung in der Teilungserklärung dahingehend, dass die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch ein Ingenieurbüro auf Kosten des Bauträgers in Vertretung der einzelnen Wohnungseigentümer durchgeführt werden soll, und erklärt das dementsprechend beauftragte Ingenieurbüro die Abnahme des Gemeinschaftseigentums auch im Namen von Nachzügler-Erwerbern, die zu diesem Zeitpunkt weder Wohnungseigentümer noch werdende Wohnungseigentümer waren, so entfaltet diese Abnahme des Gemeinschaftseigentums eine Abnahmewirkung zu Lasten der Nachzügler-Erwerber weder aufgrund der genannten Bestimmung in der Teilungserklärung noch auf Grund des genannten Beschlusses in der ersten Eigentümerversammlung.
- Die von einem Bauträger in einem Erwerbsvertrag gegenüber Nachzügler-Erwerbern gestellten Formularklauseln
„Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums ist durch das Ingenieurbüro K. ….. am 25.11.2002 erfolgt. Die Verjährungsfrist für Ansprüche und Rechte wegen Mängel am Gemeinschaftseigentum läuft für den Käufer zum selben Termin ab wie für diejenigen Käufer, welche die gemeinschaftliche Abnahme durchgeführt haben.“
sind unwirksam. - Dem Bauträger ist es als Verwender dieser von ihm gestellten, unwirksamen Formularklauseln nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sich der Vertrag noch im Erfüllungsstadium befinde und deshalb ein Anspruch aus § 637 Abs. 3 BGB nicht bestehe.
Zur Thematik:
Erwirbt ein Wohnungseigentümer von einem Bauträger eine Eigentumswohnung, so hat er nicht nur einen Anspruch auf Herstellung des Sondereigentums und der zu diesem gehörenden Bauteile, sondern zugleich auch einen Anspruch auf ordnungsgemäße und mangelfreie Herstellung des gesamten Gemeinschaftseigentums. Dies bedeutet, dass grundsätzlich jeder Wohnungseigentümer die ganze Leistung verlangen kann.
Da sich die Rechte und Pflichten aus dem mit dem Bauträger geschlossenen Erwerbsvertrag bereits nach alter Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 21.02.1985, Az.: VII ZR 72/84) nach Werksvertragsrecht richten, besteht andererseits eine Verpflichtung nach § 640 Abs. 1 BGB zur Abnahme des Werkes. Zur Abnahme verpflichtet ist grundsätzlich der Erwerber als „Besteller“ im Sinne von § 640 Abs. 1 BGB, nicht aber die – im Zeitpunkt des Vertragsschlusses möglicherweise noch gar nicht bestehende – Wohnungseigentümergemeinschaft. Schließt daher der Bauträger Verträge mit mehreren Erwerbern ab, hat im Hinblick auf die zum gemeinschaftlichen Eigentum gehörenden Bestandteile zwangsläufig eine mehrfache Abnahme stattzufinden. Jedem einzelnen Erwerber obliegt daher die Entscheidung, ob er das Werk als eine in der Hauptsache dem Vertrag entsprechende Erfüllung gelten lassen will.
Diese Konstellation führt in der Praxis selbstverständlich für die Bauträger zu Problemen in der Weise, dass noch Jahre nach erfolgter Abnahme durch die Mehrheit von Erwerbern einzelne Nachzügler Mängelansprüche gegenüber dem Bauträger hinsichtlich Mängeln am Gemeinschaftseigentum geltend machen können.
Aus diesem Grunde ist die Praxis dazu übergegangen, regelmäßig in den Bauträgerverträgen bzw. Teilungserklärungen oder nachgelagert in Beschlüssen der ersten Eigentümerversammlung Regelungen zu treffen, die einerseits eine Vergemeinschaftung der Abnahme des Gemeinschaftseigentums zum Gegenstand haben, andererseits auch entsprechende Nachzügler-Erwerber binden sollen.
Im Einzelnen besteht vorliegend Streit darüber, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft die Rechte des einzelnen Wohnungseigentümers, eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums herbeizuführen, an sich ziehen kann.
In der untergerichtlichen Rechtsprechung und Teilen der Literatur wird hier die Auffassung vertreten, dass sich auf Grund der Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 WEG, wonach die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gemeinschaftsbezogene und sonstige Rechte der Wohnungseigentümer unter bestimmten Voraussetzungen anstelle und für die einzelnen Wohnungseigentümer geltend machen kann, eine derartige Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft begründet. Die herrschende Meinung in der Literatur und Teilen der Rechtsprechung sieht hingegen in der Abnahme keine gemeinschaftsbezogene Pflicht im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG, sodass weder eine geborene noch eine gekorene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft besteht.
Daneben besteht noch die Frage, ob die bereits im Bauträgererwerbsvertrag oder in der Teilungserklärung angelegten Klauseln, die im Falle einer bereits erfolgten Abnahme des Gemeinschaftseigentums den Nachzügler-Erwerber an diese Abnahme binden, wirksam sind.
Entscheidung des BGH:
Die vorliegende Entscheidung des BGH verschafft Klarheit über viele der bis zu diesem Zeitpunkt offenen Rechtsfragen.
Zum einen wird klargestellt, dass die Nachzügler-Erwerber weder aufgrund der Klauseln in den Erwerbsverträgen noch den entsprechenden Bestimmungen in der Teilungserklärung an die erklärte Abnahme der „Vor-Erwerber“ gebunden sind. Dem einzelnen Erwerber verbleibt vielmehr ein individueller Anspruch auf ein insgesamt mangelfreies Gemeinschaftseigentum. Dementsprechend obliegt es dem Erwerber, darüber zu entscheiden, ob er das Werk abnehmen will oder nicht. Insoweit stellt der BGH klar, dass die Abnahmewirkungen nur das jeweilige Vertragsverhältnis und nicht das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander betreffen.
Hinweis 1: Die Klausel in Erwerbsverträgen bzw. Teilungserklärungen, die auch Erwerber-Nachzügler an eine bereits erfolgte gemeinschaftliche Abnahme des Gemeinschaftseigentums binden will, ist unwirksam.
Hinweis 2: Ein Beschluss der Eigentümerversammlung, welcher die Vergemeinschaftung der Abnahme und die gleichzeitige Erwerber-Nachzügler-Bindung an selbige beschließt, ist auf Grund mangelnder Beschlusskompetenz nichtig.
Daneben hat der BGH mit seiner Entscheidung noch das letzte verbleibende „Hintertürchen“ der Bauträger geschlossen, indem er diesem eine Berufung darauf, dass sich der Vertrag noch im Erfüllungsstadium befinde und deshalb ein Anspruch des Erwerbers aus § 637 Abs. 3 BGB nicht bestehe, verwehrt hat. Dies spielt dann eine Rolle, wenn ein Erwerber von dem Unternehmer die Mangelbeseitigung verlangt, dieser trotz ordnungsgemäßer Fristsetzung den Mangel nicht selbst beseitigt und dem Erwerber insoweit die Ersatzvornahme zusteht. In diesen Fällen gibt § 637 Abs. 3 BGB dem Erwerber die Möglichkeit, von dem Unternehmer Vorschuss für die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen zu verlangen. Voraussetzung hierfür ist wiederum eine erfolgte Abnahme. Daher könnte sich ein Bauträger, wenn er vom Erwerber aufgrund unwirksamer Abnahmeklauseln auf Vorschuss in Anspruch genommen wird, darauf zurückziehen, dass eine Abnahme nicht stattgefunden hat (aufgrund der unwirksamen Reglungen im Bauträgervertrag oder in der Teilungserklärung) und somit ein solcher Anspruch des Erwerbers nicht besteht. Denn der Bauträger ist als Verwender einer unwirksamen Formularklausel nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert, sich gegenüber den Nachzügler-Erwerbern darauf zu berufen, dass sich der Vertrag mangels Abnahme des Gemeinschaftseigentums noch im Erfüllungsstadium befindet.
Zuletzt hat der BGH in seinem Urteil noch einmal die bereits 1985 aufgestellte Rechtsprechung auch für Fälle nach der Schuldrechtsreform bekräftigt, wonach für die Mängelhaftung des Bauträgers Werkvertragsrecht anwendbar ist, auch wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses das Bauwerk bereits errichtet war.
Anmerkung:
Weder in Bauverträgen noch in Teilungserklärungen sollten in Zukunft Klauseln enthalten sein, die einen Erwerber-Nachzügler an eine etwaig bereits erfolgte Abnahme des Gemeinschaftseigentums binden. Solche Klauseln wären unwirksam.
Zu überlegen ist allerdings, ob in der Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung bzw. dem Bauträgervertrag eine Regelung dergestalt aufgenommen wird, welche zunächst die förmliche Abnahme des Gemeinschaftseigentums weiterhin dem jeweiligen Erwerber (Sondereigentümer) vorbehält, den Eigentümern jedoch gleichzeitig die Möglichkeit einräumt, auf Kosten und im Namen der Gemeinschaft in der ersten Eigentümerversammlung durch Mehrheitsbeschluss einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ihrer Wahl zu beauftragen, welcher für die Eigentümer / die Gemeinschaft beratend und unterstützend bei der Abnahme tätig ist. Dieser soll das Gemeinschaftseigentum begutachten, die technische Abnahmefähigkeit feststellen sowie die Behebung der festgestellten Mängel bestätigen. Hierdurch ist zumindest gewährleistet, dass zu einem gewissen Zeitpunkt einmal die technische Abnahmefähigkeit / Mängelfreiheit des gemeinschaftlichen Eigentums von dritter Seite nachgewiesen wurde.
Die überarbeitete Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., Berlin, (Stand: 2016) sieht eine Vereinbarung in dem beschriebenen Sinne vor.
In der Verwaltungspraxis werden des Öfteren Beschlüsse gefasst, die eine Vergemeinschaftung der Abnahme ohne entsprechende Bindung der Nachzügler-Erwerber zum Gegenstand haben. Der BGH hat sich zu dieser Möglichkeit in der vorliegenden Entscheidung nicht geäußert. Jedoch ist auch diese Vorgehensweise aufgrund der vorgenannten Gründe risikobehaftet, da es hierzu ebenfalls an einer Beschlusszuständigkeit der Gemeinschaft fehlen könnte (so LG München I, Urteil vom 07.04.2016, Az.: 36 S 17586/15).
Das Urteil kann beim vbw abgerufen werden. Für Rückfragen steht Ihnen die Rechtsabteilung des vbw (Ansprechpartner: RA Thorsten Aigner, Telefon 0711 16345 - 118) zur Verfügung.